Stahlwerk


Ojokojo Torunarigha spricht über Rassismus…
23. Dezember 2013, 23:05
Filed under: Interviews | Schlagwörter: , , ,

Einen hauen wir noch raus vorm Weihnachtsfest und zwar ein etwas älteres Interview mit Ojokojo Torunarigha, mit dem ich aktuell in Kontakt stehe um ein Interview zu machen, ob es klappt schauen wir mal. Orginal ist das Interview von hier, aber der Link ist mittlerweile tot.

Übrigens ist er nicht mehr Jugendtrainer bei Hertha BSC, sondern B-Jugendtrainer bei einem kleineren Berliner Verein. Sein ältester Sohn spielt mittlerweile Regionalliga, war zu Beginn Zweitligaspieler in Oberhausen und der jüngste ist aktuell U-17 Nationalspieler für Deutschland. Für alle die es nicht wissen Ojokojo Torunarigha war von 95-97 Stürmer im Ellenfeld. 150px-Bundesarchiv_Bild_183-1990-0823-308,_Chemnitzer_FC,_Djokojo_Torunaigha

Ojokojo Torunarigha war der erste Afrikaner im ostdeutschen Fußball. Hier erzählt er von der Liebe und dem Hass,die er erfahren hat

„Beim Stadtfest sind zehn Leute hinter mir her. Besoffene, die hatten Butterfly-Messer“

Im Frühjahr 1990 kommt Ojokojo Torunarigha, geboren in Lagos,Nigeria, nach Deutschland. Spielervermittler Willi Hoppen,Branchenname „die Ratte“, bringt den 20 Jahre alten Stürmer nach Chemnitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt heißt. Als Torunarigha die Plattenbauten sieht, schreit er: „Wo hast du mich hingebracht? Nach Russland? Ich will nach Deutschland!“ Trotzdem unterschreibt er einen Vertrag beim Chemnitzer FC, bestreitet 77 Zweitligapartien für den Klub und erzielt fünf Tore. Später spielt er noch für die Drittligisten Borussia Neunkirchen und Sachsen Leipzig. 2006 zieht er
mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Berlin-Spandau. Seine Söhne Junior, 19, und Jordan, 12, spielen heute in Jugendteams von Hertha BSC. Torunarigha, 40, arbeitet für den Klub als Juniorentrainer.

Herr Torunarigha, wenn ein junger Fußballer aus Afrika Sie heute fragen würde, ob er nach Deutschland gehen soll – was würden Sie ihm raten?

Ich würde sagen: Tu es, aber wirf deine Träume weg. Glaub nicht, dass hier jemand auf dich wartet. Glaub nicht, dass es reicht, ein guter Fußballer zu sein. Du musst Menschen haben, die dich beschützen. Du musst einen Trainer haben, der geduldig ist. Du musst gesund bleiben. Du musst also verdammt viel Glück haben, um es hier zu packen.

Und auch ein dickes Fell? Sie sind wegen Ihrer Hautfarbe beleidigt worden auf dem Fußballplatz, über Jahre.

Im Osten muss man einstecken können als Schwarzer. Ich habe 16 Jahre in Chemnitz gelebt, und bis zum Schluss hat es nicht aufgehört mit Diskriminierungen und mit Angriffen. Natürlich waren das einzelne Idioten, die „Heil Hitler!“ oder „Neger raus!“ gerufen haben. Aber das ist kein Trost, denn mit der Zeit wächst das Gefühl, dass man nicht gewollt ist. Du kannst dir tausendmal sagen: Die meisten Leute sind okay, und manchmal glaubst du auch ein paar Wochen daran.Und dann kommt wieder so ein Depp und will dich schlagen, und alles ist kaputt.

Sie nennen sie Deppen – was waren das für Menschen?

Nicht nur Neonazis mit Bomberjacken und Springerstiefeln. 2002 beim Stadtfest sind zehn Leute hinter mir her,Besoffene, die hatten Butterfly-Messer. Ich bin um mein Leben gerannt, und ich dachte, ich hätte es geschafft, als ich in einer Seitenstraße einen Streifenwagen sah. Ich habe gegen die Scheibe geklopft und gefleht: „Bitte lasst mich rein!“ Aber die Polizisten haben die Tür nicht aufgemacht, der am Steuer rief durch die Scheibe: „Viel los heute, wir müssen arbeiten. Sieh zu, dass du Land gewinnst.“ Ich habe gebrüllt: „Ich bin Ojokojo, der Fußballer! Ihr könnt mich doch nicht draußen lassen.“ Das hat Wunder gewirkt. „Ah, Ojo, na klar, steig ein!“, haben sie gesagt, und dann wollten sie Autogramme. Ich wurde geliebt als Fußballer und abgelehnt als Mensch, als Schwarzer. Dass du aufgespalten wirst in eine gute und in eine böse, schwarze Hälfte – das war das Schlimmste in all den Jahren.

Warum sind Sie nicht gegangen nach diesen Attacken und Kränkungen? Warum haben Sie sich nicht um einen neuen Klub bemüht?

Ich war so froh, einen sicheren Job zu haben. Bei CSB Libreville in Gabun, meinem letzten Verein, hatte ich 400 Mark im Monat verdient. Wenn überhaupt Geld gezahlt wurde. In Chemnitz waren es in der ersten Saison 4000 Mark netto. Sie zahlten immer pünktlich, und im Verein waren sie auch nett und hilfsbereit. Ich stand immer zwischen diesen beiden Polen: Liebe und Hass. Aber weil es eben auch Liebe gab, von den Leuten im Verein, von Fans, die mich feierten und meinen Namen sangen, habe ich den Hass ausgehalten. Ich wollte nicht zurück nach Nigeria.

Was schreckt Sie so ab an Ihrem Heimatland?

Nigeria ist nicht fair. Wir haben riesige Vorkommen an Öl und Gas, aber das bringt den einfachen Menschen nichts. Ein paar Männer machen sich die Taschen voll, alle anderen müssen um ihr Leben kämpfen. Nigeria ist Existenzkampf, jeder gegen jeden, jede Sekunde. So ein Land hat keine Zukunft, und ich möchte auch nicht, dass meine Kinder unter solchen Bedingungen aufwachsen.

Haben Sie noch Kontakt nach Nigeria?

Ichbin 1997 das letzte Mal dort gewesen. Ich kann mir keine Flugtickets mehr für die ganze Familie leisten. Ich habe keine Rücklagen mehr aus meiner Profizeit. Das Geld ist weg.

Einfach ausgegeben?

Nein, ich habe viel,viel nach Nigeria überwiesen. Mein Vater hat zwei Frauen, ich habe acht Geschwister – können Sie sich vorstellen, wie schnell da 1000Mark aufgebraucht sind? Ich habe 1993, als ich das erste Mal zurückgeflogen bin nach Lagos, riesige Kisten mitgenommen, voller Kleidung, Küchengeräte und Hi-Fi-Zeug. Ich habe 6000 Mark für Übergepäck bezahlt.

War es ein Fehler, die Familie über alles zu stellen und sich so zu verausgaben?

Entschuldigen Sie, aber so eine Frage kann nur ein Deutscher stellen. Als Afrikaner lernst du schon als Kind, dass es deine Pflicht ist, für die Familie zu sorgen. Daran wirst du gemessen: Schaffst du es nicht, deine Familie zu ernähren, bist du ein Versager. Und wenn du in Europa lebst und nichts überweist, bist du nicht nur das, sondern auch ein Verräter.

Trotzdem: Wenn von acht Jahren nichts übrig bleibt – haben Sie nicht doch etwas falsch gemacht?

Wenn Sie die Geldgeschichte meinen: nein. Vielleicht hätte ich den Mut haben müssen, den Osten früher zu verlassen. Seit vier Jahren leben wir in Spandau – und ich habe noch kein einziges böses Wort gehört. Aber als Afrikaner in Deutschland siehst du nicht zuerst die Chancen, sondern die Gefahren. Jeder Wechsel ist ein Risiko, so dachte ich damals.

Nach dem Karriereende haben Sie mehrere Jahre von Hartz IV gelebt und von dem Geld, das Ihre Frau, die auch aus Nigeria stammt,
als Spülhilfe verdient hat. Hatten Sie keinen Plan für die Zukunft?

Ich wollte Trainer werden, aber schon die C-Lizenz war eine Tortur. Vielen von meinen Mitspielern beim Chemnitzer FC wurde sie geschenkt. Ich musste als Einziger einen Kinderbetreuungsschein und einen Schiedsrichterschein machen. Der Prüfer hat mir sogar ins Gesicht gesagt: „Spar dir das Geld, du schaffst die Lizenz sowieso nicht.“ Er ließ mich durchfallen.

Im zweiten Anlauf haben Sie es gepackt.

Ja,weil anderen Prüfern aufgefallen war, dass ich offensichtlich fertiggemacht werden sollte. Die haben ihren Kollegen zur Seite genommen, und als er mich zum zweiten Mal prüfte, sagte er: „Ich glaube, heute schaffen wir’s.“ So etwas nimmt dir den Mut, immer diese Hürden. Ich dachte, das Mindeste, was ich verdient habe nach so langer Zeit in Deutschland, ist ein Recht auf Gleichbehandlung. Ich habe etwas geleistet in diesem Land. Ich habe vielen Menschen Freude gemacht mit meinem Fußball. Und ich habe Steuern gezahlt. Ich habe mich nach deutschen Regeln und Gesetzen verhalten. Ich war nie ein Problem. Warum also diese Schikane?

Wie sind Sie zu Hertha BSC gekommen?

Hertha wollte meinen Sohn Junior für die U-17-Mannschaft, und mir haben sie auch ein Angebot gemacht. Ich arbeite jetzt bei einem großen deutschen Klub in der Nachwuchsabteilung. Und es macht mir Spaß zusehen, dass Junior und Jordan es leichter haben. Sie müssen in Berlin nicht diese Kämpfe kämpfen, die ich in Chemnitz durchstehen musste. Herthas Jugend ist international, mit schwarzen und weißen Spielern. Es ist eine andere Zeit und eine andere Stadt, und manchmal wünsche ich mir, ich wäre zwanzig Jahre jünger und könnte da mitspielen.

Kommentare deaktiviert für Ojokojo Torunarigha spricht über Rassismus…