Stahlwerk


Interview mit Daniel – Portenos (FC Kreuzlingen)
20. November 2013, 22:38
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Schweizer Amateurfußball…jetzt dreht er endgültig am Rad. Nein nicht ganz, sondern zu diesem Interview gibt es eine kleine Vorgeschichte. Die allererste Stahlwerk Fanzine Ausgabe fand glücklicherweise auch den Weg in die kleine Schweiz und so kam eines Tages ein Brief oder doch schon ne E-mail? aus Kreuzlingen mit dem Angebot das Heft auch in Daniel´s Laden zu vertreiben, der damals zugleich der Fanshop des FC Kreuzlingen war. Wenn man bedenkt was für ne Krücke die Erstausgabe war, verwundert mich das heute noch, aber ihm gefiel´s und so war das Heft ab sofort auch in der Schweiz erhältlich. Seine Vorliebe für den FC Kreuzlingen weckte auch bei mir die Neugier und so darf ich mich mit dem Interview wenigstens ein klein wenig revanchieren. Zumal mir sein Blog extrem gut gefällt, schon seine Linkliste zeigt der Mann hat Geschmack und Fußballverstand. Entsprechend rund lief das virtuelle Gespräch…das ich noch hätte ewig führen können. Diverse Links findet ihr unter dem Interview…

Portenos 1Hallo Daniel, dein Verein ist der FC Kreuzlingen, ich vermute mal die wenigsten Leser werden jetzt damit was anfangen können. Von daher stell doch mal deinen Verein etwas vor?

Hallo Nicky, sehr gerne. Der FC Kreuzlingen spielt derzeit nur noch in der 2. Liga Interregional, dass ist die fünfte Klasse in der Schweiz. Die grosse Zeit des Vereins ist schon sehr lange her. In den 30ern war der FCK ein kleines Schweizer Fussballmekka, noch vor der Europacup-Zeit gab es Spiele gegen zahlreiche namhafte europäische Fussballvereine wie West Ham United, FC Everton oder die AS Roma um nur ein paar ganz wenige zu nennen. 50’000 Zuschauer kamen pro Saison ins kleine Stadion an der Konstanzerstrasse. Das normale Umfeld für den FCK ist eigentlich die drittklassige 1. Liga, dort wollen wir wieder hin. Ich nehm mal das von Kreuzlingen noch kaum jemand von deinen Lesern im Saarland gehört hat. Unser Städtchen hat 20’000 Einwohner und liegt direkt am Bodensee neben Konstanz, von denen uns nur der Grenzzaun trennt.

Im SWR Tatort vom Bodensee kommt Kreuzlingen als Name ab und zu vor …5.Liga Schweiz, wie muß man sich da das Umfeld vorstellen…Zuschauerschnitt, Stadien?, ect. Gibts andere Fanszenen in eurer Liga?

5. Liga Schweiz, das heisst 150-250 Zuschauer, meistens Sportplätze ohne Tribünen, Dörfer in die man sonst im Leben nicht käme und null Fans ausser uns. Auf dieser Stufe sind wir schweizweit die einzigen Fans. In der drittklassigen 1. Liga gibt es noch schweizweit zwei, drei andere kleine Szenen, das wars. Also wir sind diesbezüglich im tiefsten Amateurfussball. Sportlich ist die Liga allerdings gar nicht so schlecht, wir könnten in der Verbandsliga gut mithalten.Portenos 2

Wie ist das eigentlich mit der Grenzlandlage? Habt ihr Zuschauer die auf der deutschen Seite wohnen, Sponsoren aus Konstanz oder ist es lukrativer als deutscher Amateurspieler in der Schweiz?

Haben wir, bei uns kann man auch problemlos mit Euro zahlen und wir waren der erste Schweizer Verein bei dem’s Currywurst an den Spielen gab. Etwa ein drittel der Spieler kommt aus Deutschland, derzeit ist übrigens kein einziger Schweizer Spieler in unserem ganzen Kader. Der Rest kommt aus Italien, Bulgarien und von überall sonst. Manchmal gibt es Spiele, da gehts gegen Teams wo kein einziger Ausländer spielt, ganz schön kurios. Es ist schon lukrativer bei uns, obwohl uns in letzter Zeit der FC Singen 04 Spieler abspenstig macht, die wollen unbedingt wieder in die Oberliga. Also wenn in der Umgebung von Konstanz jemand Fussball spielen kann, dann kommt er normalerweise zum FC Kreuzlingen. Dank der Fähre kommen auch einige von Friedrichshafen.

Legen die dann direkt am Stadion an …denn euer Spielort nennt sich „Hafenareal“?

500 Meter davon, nebenan im Hafen von Konstanz. Unser Fussballplatz heisst Klein Venedig oder umgangssprachlich auch oft „im Hafenareal“. Das ist wirklich direkt am See. Das alte Stadion an der Konstanzerstrasse gibts schon lange nicht mehr, das etwas grössere Stadion „Burgerfeld“ benutzen wir aus diversen Gründen nicht mehr. Eigentlich wär von der Stadt noch ein ganz anderes Spielfeld vorgesehen, das liegt beim Lokalkonkurrenten AS Calcio Kreuzlingen im Döbeli. Ein ziemliches Politikum über das es noch einiges mehr zu sagen gäbe, aber hier etwas zu weit führen würde.

Klein Venedig

Klein Venedig

Laut Wikipedia gibt es seit 1997 eine kleine Fanszene in Kreuzlingen, erzähl doch mal ein bißchen mehr über die Entstehung?

Wir waren ein wirklich wilder Haufen von jungen Punks und Skins die gerne zum Fussball gingen. Da musste einfach ein Verein her den wir supporten wollten. Schnell haben wir gemerkt das in unserem Fall das gute sehr nah lag. Beim FC Kreuzlingen waren damals ziemlich verrückte Leute am Werk, der FCK hatte zudem keinen guten Ruf, dass zog uns damals an und wir haben uns gleich Zuhause gefühlt. Sportlich ging es dann erstmals ziemlich aufwärts. Der FCK wurde zu einem kleinen Treffpunkt von Jugendlichen die irgendwie anders waren und die sich mit so einem kleinen Verein viel eher identifizieren konnten als mit einem Profi-Verein. Das passte auch viel mehr zu der Punkschiene, ein kleiner Verein ist ja auch irgendwie so eine Underdog-Geschichte.

Aus der Zeit stammt auch der Fanclub „Whiskykurve“?

Ja klar, die Whiskykurve waren die ersten organisierten Fans beim FC Kreuzlingen.

Was waren so fantechnisch die Highlights in den letzten 16 Jahren?

Aus sportlicher Sicht waren es sicher die Aufstiegsspiele in die Nationalliga B gegen den FC Baulmes. Wir sind ja keine Ultras, also Choreografien und ähnliches gibts bei uns kaum, allein schon zahlenmässig würd das nicht zu uns passen. Man darf nicht vergessen, dass wir eine sehr kleine Fanszene sind, derzeit vielleicht noch 10-15 Leute, dann noch verteilt auf zwei Gruppen, die zweite sind die neugegründeten Porteños. Zu den besten Zeiten kamen um die 30-40 Personen in unsere Kurve. Wir sind eine richtige oldschool-Gruppe, spielbezogener Support, Zaunfahnen, Schals, fertig. Wir kommen aus der 90er-Fanzine-Generation, da gibts so einen schöne Aussage die ich letzthin gehört habe. Als die 80s-Hools so langsam die Kurven verliessen gab es eine kurze Zeit wo die Fanzine-Generation meinte den Way of Life in den Kurven prägen zu können, dann kamen die Ultras und hinterliessen uns frustriert zurück, haha Naja so schlimm ist’s nicht. Aber die Fanzine-Kultur ist schon ausgeprägt bei uns, wir haben immer noch zwei Hefte am Start.portenos 4

Darauf wollte ich gerade hinaus, die Portenos wirken eher traditionell englisch als ultratypisch. Ist das in der Schweiz noch öfter zu finden oder seit ihr auch schon eine Ausnahme im allgemeinen Ultratrend?

Wir sind sicher eine Ausnahme, die grossen Szenen sind eigentlich alle sehr ultra-orientiert. Ich denke so richtig oldschool im britischen Stil würde man bei Jugendlichen in den grossen Vereinen auch nicht so den Zeitgeist treffen. Winterthur ist noch ziemlich einzigartig in der Schweiz, da geht es sehr linksalternativ zu und her, weiss nicht ob sich dort welche wirklich als Ultras bezeichnen würden. Aber das ist dann wieder eine andere Schiene.

Kommen wir zu den Fanzines, bring uns doch erstmal auf den Stand was es da alles gab und was es da aktuell noch gibt?

Seit 1999 gibt’s den Grenzstadtkurier und seit glaube ich 2004 die Hafenschlampe. Der Grenzstadtkurier war zuerst ein typisches Fanzine im alten Stil, also mit viel Spielberichten. Mit der Zeit wurde daraus ein Heft das sich auch mit der Geschichte des Vereins befasst, mal ein Spielerinterview drin hat, andere Fanzine’s vorstellt und auch immer mal wieder interessante Gastschreiber hat. Das Heft mach ich alleine und kommt daher auch nur einmal jährlich heraus. Die Hafenschlampe ist komplett anders gestrickt, ein sehr starkes Layout und durchzogen von einem ganz eigenen Humor, es ist sicher das speziellere der beiden Hefte und hat sein eigenes Publikum, genau wie es der Grenzstadtkurier auch hat. Daher ergänzen sie sich ganz gut.Portenos 3

Ganz eigenes Publikum, wie darf man das verstehen. Wo werden die Fanzines verkauft, wie reagieren die „normalen“ Stadiongänger auf diese Art Hefte?

Der Grenzstadtkurier wird auch eher von den normalen Stadiongängern oder von Leuten aus dem Verein gelesen, hat zudem seine Freunde bei Leuten die ein Faible für kleine Traditionsvereine und kleine Fanszenen haben, vertrieben wird das Heft in Deutschland über den nofb-shop, wo es auch immer in einem günstigeren Nachdruck zu haben ist. Die Hafenschlampe wird von der Whiskykurve und einem recht grossen Umfeld in Winterthur gelesen, auch eher mal von Leuten die nicht unbedingt was mit Fussball zu tun haben.

Du hast gerade erwähnt das in deinem Heft auch Vereinsgeschichte drin vorkommt, wie schwierig ist es in der Richtung an Infos zukommen? Pflegt der Verein ein Archiv?

Es gab überhaupt kein Archiv, alles war verstreut bei verschiedenen Leuten, ein Bewusstsein für die wirklich sehr facettenreiche Geschichte gab es fast gar nicht. Mittlerweile sehen die Leute was ich mache und bringen mir Zeitungsartikel, Fotos, Videomitschnitte etc. Die erfolgreichen 30er habe ich schon recht gut dokumentiert und da kommen manchmal auch Mails von Nachfahren der damaligen Spieler die dann eine grosse Freude an den Berichten und Fotos von damals haben. Im Archiv unserer regionalen Zeitung war ich auch schon, was natürlich eine sehr aufwendige Recherche ist. Ziel ist ein Archiv und eine Vereinschronik, bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Derzeit veröffentliche ich die Sachen im Grenzstadtkurier und in unserer Stadionzeitung. Die Fundstücke kommen auch nach und nach in meinen Blog: portenoskreuzlingen.wordpress.com.

Vielleicht noch was zum Norman Smith Stand, wie weit ist diese Geschichte schon in der Realisierung?

Norman Smith war unser erfolgreichster Trainer in den 30ern, dem Engländer gelangen mit uns drei Aufstiege in Folge. Da fanden wir’s eine schöne Idee das irgendwie zu würdigen. Wir machen jetzt eine Bande an dem Platz wo wir stehen mit dem Namen unseres damaligen Trainers und nennen das ganze nach englischer Tradition Norman-Smith-Stand. Bei uns ist natürlich alles fünf Klassen kleiner als im Profifussball und wir nehmen das ganze auch mit Humor, aber es ist auch viel Herzblut in unseren Ideen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt an der Geschichte, wir zahlen dem Verein jährlich 1000 Franken für die Bande, so unterstützen wir auch den Club, dem es finanziell alles andere als rosig geht. Ab der Rückrunde im März steht die Bande.whiskykurve 1

Die Schweiz ist sprachlich und kulturell sehr unterschiedlich, ab welcher Liga könnt ihr den FCK wieder in andere Regionen begleiten?

Ja das ist wirklich so. Es gab ja bei uns noch eine Liga-Refom im letzten Jahr. Jetzt gibt es die drittklassige 1. Liga Promotion, die umfasst die ganze Schweiz und die viertklassige 1. Liga Classic, die ist dreigleisig und unsere Gruppe würde Zürich, die Ostschweiz, Liechtenstein und das Tessin umfassen. Da gäbe es also wieder Spiele im italienischsprachigen Teil, dass hatte immer seinen eigenen Reiz, man verbrachte dann auch meistens das ganze Wochenende im Tessin. Nur im Schweizer Cup oder in Aufstiegsspielen können wir auf französischsprachige Vereine treffen. Diesen Sommer hatten wir eine Amateur-Mannschaft aus Lausanne zu Gast, diese hätten eine Runde später fast den FC Zürich aus dem Cup geworfen (2:3 n.V.). Lieber hätten natürlich wir gegen den grossen FCZ gespielt.

Ist der Pokal so wie in Deutschland organisiert, erst regional und wenn du da gewinnst dann auf der großen Bühne?

Ja genau, es gibt in unserer Liga drei Ausscheidungsrunden gegen gleichklassige Gegner, allerdings gruppenübergreifend. Dann kommen in der 1. Hauptrunde gleich alle Profi-Vereine dazu.

Nochmal kurz ein Themenwechsel, du hast das „Zwölf“ Magazin sehr gelobt, ein Heft von dem man in Deutschland nur wenig mitbekommt. Erklär doch mal kurz warum es so gut ist?Portenos 5

Das Zwölf ist ähnlich wie 11 Freunde oder Ballesterer. Vielleicht noch ein bisschen weniger kommerziell wie das 11 Freunde, ein Magazin für Fussballromantiker halt. Viele Leute die dort schreiben (es ist ein Feierabend-Projekt, allerdings von Profis auf ihrem Gebiet), kennt man persönlich und ab und an schaut auch mal einer in Kreuzlingen vorbei. Das sind sicher die Vorteile eines so kleinen Landes. Die Macher haben auch eine kleine Fussballsendung im Schweizer Sportfernsehen und sind im Netzwerk Fussballkultur Schweiz dabei. Einem kleinen Zusammenschluss von Fussballverrückten die in irgendeiner Art mit Fussballkultur zu tun haben.

Stichwort Fussballromatiker…Ihr unterstützt auch die Initiative „Glotze Aus, Stadion An“. Ist die Situation des Schweizer Amateurfußballs ähnlich?

Aber mindestens, die Zuschauerzahlen brechen immer mehr ein. Noch vor zwei Jahren war der Ligaschnitt um etwa 100 Zuschauer höher, in der drittklassigen 1. Liga Promotion gibt es Spiele vor 100-200 Zuschauern. Dabei ist diese Liga spielerisch ziemlich stark und die Vereine leisten sich dort bereits etliche Vollprofis. Ganz zu schweigen von den alten Zeiten vor 20, 30 Jahren. Wenn man da Bilder vom alten Hafenareal sieht ist das schon traurig. Aber die Tendenz ist wohl überall so.

Abschlußfrage, warum sollte man mal nach Kreuzlingen Fußball gucken kommen? Was macht den Charme des FCK aus?…Ich danke dir für das ausführliche beantworten der Fragen und für die Zeit die du geopfert hast!

Wenn man nichts mehr liebt, als mit einer Bratwurst in der einen, einem Bier in der anderen Hand und einem liebevollen Stadionprogramm in der Jackentasche am Spielfeldrand zu stehen, dabei Fussball zu gucken und über die entsprechenden Themen zu reden – dann ist man bei uns richtig. Wenn dann bei einem Abendspiel noch der typische Seenebel über dem Feld liegt und man eine Möwe sieht und der Wind vom See kommt – dass hat dann schon eine eigene Atmosphäre.

Vereinsgründung: 1.Juli 1905

Historie: Der FC Kreuzlingen spielte seit seiner ersten Ligateilnahme 1916 insgesamt 6 Jahre in der zweithöchsten Schweizer Liga, 47 Jahre in der dritthöchsten Schweizer Liga, 44 Jahre in der vierthöchsten und 1 Jahr in der fünfthöchsten Schweizer Liga.

Stadion: Der FC Kreuzlingen trägt seine Heimspiele auf dem Sportplatz Hafenareal am Bodensee aus. Das Hafenareal verfügt ab Mai 2011 über eine neue kleine Tribüne, welche neben Stehplätzen auch 126 vorerst unüberdachte Sitzplätze bietet. Seit 2007 steht ein neues Klubhaus im Hafenareal, seit 2010 gibt es neben dem Hauptplatz einen Kunstrasenplatz. Das Hafenfeld befindet sich direkt neben der Bodensee-Arena im Hafen von Kreuzlingen.

weiterführende Links:

Homepage des FC Kreuzlingen

Grenzstadtkurier (Fanzine), Grenzstadtkurier im NOFB Shop zum bestellen

Zwölf Magazin

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